Abenteuer Reisen – Rede zum 232. Stiftungfest

Meine Brüder,

ich vermute mal ganz stark, dass die meisten von Ihnen heute per Auto angereist sind. Einige wenige vielleicht mit der Bahn und nur die sportlichsten unter Ihnen mit dem Fahrrad oder gar zu Fuß.

Möglicherweise durfte der ein oder andere von Ihnen im Stau stehen, oder frierend auf dem Bahnsteig auf einen verspäteten Zug warten.

Aber wahrscheinlich hat keiner von Ihnen die Postkutsche genommen, zumal die meisten Postkutschenverbindungen mittlerweile ihren Dienst eingestellt haben.

Postkutschen sind ja auch seit der Einführung der Eisenbahn im vorletzten Jahrhundert einfach aus der Mode gekommen. Die Eisenbahn hat sich als viel bequemer und schneller erwiesen. Ein wahrer Durchbruch für den Fernverkehr.

Als am 25. April 1792 die Stiftungsurkunde dieser unserer Loge damals noch unter dem Namen „Zum goldenen Löwen“ ausgestellt wurde, war das noch ganz anders. An Autos und Eisenbahnen war noch nicht mal zu denken.

Damals reiste man entweder zu Fuß oder eben mit der Postkutsche, was sich aber nur die besser Betuchten leisten konnten.

So auch jene Brüder, welche bereits am 14.08.1790 in Schwelm zusammen kamen um über die Gründung einer Loge zu beraten.

Die Brüder, welche sich im Jahre 1790 hier berieten gehörten Logen in Bochum, Wesel und Kleve an, lebten allerdings in Haspe, Hagen und Unna.

Einer dieser Brüder wurde beauftragt, im Rahmen einer Geschäftsreise bei der Großen Landesloge in Berlin um Anerkennung zu ersuchen.

Im Zeitalter von ICE und Autobahnen, oder gar sogenannten „Kurzstreckenflügen“ klingt das banal. Mal eben nach Berlin: Kein Problem.

Von Unna oder Hagen nach Schwelm: Keine Weltreise, würden wir heute sagen.

Ganz anders war dies aber noch im 18 Jahrhundert.

Im 18. Jahrhundert war Reisen eine mühselige und gefahrvolle Angelegenheit.

Der Journalist Michael Lemster beschreibt dies in seinem Artikel „Unterwegs zur Postkutschenzeit: Wer reisen will, muss leiden“ erschienen im Spektrum der Wissenschaft recht anschaulich.

Hier einige Auszüge davon:

Wer […] mit der Postkutsche auf Reisen ging, musste sich auf lange Verzögerungen gefasst machen. Hauptursache waren die unbefestigten, stets kaputten Straßen. Sofern man nicht das Glück hatte, auf der stabilen Trasse einer antiken Römerstraße unterwegs zu sein, holperte man über Wege, die den Elementen schutzlos ausgesetzt waren – und im Winter nicht selten an einer fortgeschwemmten Brücke endeten. Gute Straßen? Die würden seine »Subjecte« ohnehin nur zur Landflucht anstacheln, urteilte Preußens Alter Fritz, der König Friedrich II. (1712–1786). Erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts, und das auch nur langsam, setzten sich ingenieurmäßig aufgebaute Straßen mit stabiler Decke durch: die Kunststraßen oder Chausseen, wie sie damals hießen.

Ein anderer Risikofaktor waren die Kutscher. Die Männer auf dem Bock – respektvoll mit »Schwager« angerufen– hatten Zügel wie Reisende fest im Griff. Ihre Rücksichtslosigkeit und ihre Flüche waren sprichwörtlich. Genau wie die »Schmiergelder«, die sie beanspruchten, damit es gut flutschte in der Radnabe und auf der Reise überhaupt. Stillstand war teuer. Schlimmstenfalls bezahlten die Reisenden ihn mit dem Leben, denn noch bis ins 19. Jahrhundert war manche Gegend voll von Wegelagererbanden. Bestenfalls riskierte man, nur ausgenommen zu werden von zwielichtigen Gestalten, die die Hilflosigkeit der Gestrandeten findig auszunutzen wussten. Leopold Mozart (1719–1787) fand es wiederholt zum »Pomeranzenscheißen«, an einer Landesgrenze festzusitzen, während die Angebote der Geldwechsler immer dreister wurden.

Dabei kostete eine Reise auch ohne Zwischenfall schon genug. […] 13 Gulden berappte ein Reisender für die Fahrt von Wien nach Prag. Die Rückkehr von seiner italienischen Reise im Jahr 1788 kostete Goethe 120 Gulden – rund sechsmal so viel, wie ein Bauer seinem Knecht an Mariä Lichtmess für ein Dienstjahr in die schrundigen Hände zählte.

(Meine Brüder, bitte bedenken Sie dies, sollten Sie einen Urlaub in Prag, Wien oder Italien planen)

[..] Einfache Menschen zogen es vor, gar nicht zu reisen und, wenn es sein musste, »Schusters Rappen« zu besteigen, also ein Paar derber schwarzer Schaftstiefel, mit denen sie erheblich preisgünstiger ans Ziel gelangten – und übrigens nicht viel langsamer. Bevor es Chausseen gab, brachten es die Karossen über den Tag gerechnet maximal auf doppelte Fußgängergeschwindigkeit.

Wer reisen musste, brauchte vor allem Leidensfähigkeit. Bei vielen Kutschentypen saßen außen mehr Fahrgäste als innen. Sie waren dem Wetter schutzlos ausgesetzt. Doch selbst, wer sich den teureren Platz im Innenraum leistete, musste oft mit hölzernen Sitzbänken vorliebnehmen, auf denen höchstens Teppiche oder Felle lagen. […] Nagende Winterkälte wurde durch Felle um die Beine oder Strohschütten im Fußraum nur unmaßgeblich gemildert. Hinzu kamen die Gerüche der bis zu fünf Mitreisenden und ihres Proviants oder ihr Geschwätz. […]

An guten Tagen brachte es eine Postkutsche des 18. Jahrhunderts auf Etappen von sieben bis zwölf Meilen, also maximal etwa 80 Kilometer. An schlechten Tagen blieb den Reisenden fast nichts – bis auf den Wunsch nach Siebenmeilenstiefeln und die Hoffnung, es noch vor Einbruch der Dunkelheit in die Sicherheit einer ummauerten Stadt zu schaffen. Denn je später es wurde, desto misstrauischer durchsuchten die Torwachen das Gepäck der Reisenden und desto argwöhnischer befragten sie sie nach ihrem Woher und Wohin, ihren Reisegründen, ihren Vermögensverhältnissen und Krankheiten. […] Ließen die Wächter den Schlagbaum unten oder knallten die schweren Tore zu, galt es, sich mit üblen Vorstadtkaschemmen und dem fahrenden Volk herumzuärgern, das ebenfalls draußen warten musste: Hausierern und Schaustellern, Kesselflickern und Landfahrersippen. […]

Übrigens: »Beim Schwager vorn« zu sitzen wie im Volkslied war weiß Gott kein Privileg, wie uns romantische Verklärung weismachen will. Zwar sah man vom Bock aus »Felder, Wiesen und Auen« besser als durch die vom Staub blinden Fenster. Aber gleichzeitig war man den Elementen und dem, was die Pferdehufe nach hinten schleuderten, nahezu schutzlos ausgesetzt – von den Ausfällen des Kutschers ganz abgesehen. »Beim Schwager vorn«, das war der billigste Platz. Der Platz für die Habenichtse, die die Dichter, ihrer Besitztümer und steifen Zeremonien müde, so romantisch verklärten.

Soweit in Auszügen Michael Lemster.

Folgt man seinen Ausführungen, dürfte jene Reise nach Berlin für unseren Bruder damals kein Zuckerschlecken gewesen sein.

Und auch die vergleichsweise kurze Anreise aus Haspe, Hagen oder Unna war damals bestimmt nicht „mal so eben kurz“ getan.

Wer so etwas tat, hatte damals triftige und wichtige Gründe dafür.

Ich finde es immer wieder beachtlich, was die Brüder damals auf sich genommen haben um eine Loge zu gründen und sie auch regelmäßig zu besuchen.

Vielleicht sollten wir uns auch daran mal erinnern, wenn wir heute die Stiftung unserer Loge feiern.

Und um auch noch mal kurz auf unser Ritual einzugehen:

Die Bedeutung von Reisen als Symbol des freimaurerischen Weges erhält in diesem Lichte noch mal eine ganz neue Tiefe.

War eine Reise sowieso schon eine gefährliche und äußerst unbequeme Angelegenheit, wie musste es damals erst sein, wenn man zu Fuß, mittellos, bei schlechter Sicht und lahm, ohne geeignete Kleidung und feste Stiefel, gleich mehrere solcher Reisen antreten sollte? Reisen, auf denen der einzige Begleiter das eigene Gewissen ist?

Heute im Zeitalter von Pauschaltourismus, Billigflügen uns sozialer Absicherung wo wir höchstens die Barrierefreiheit in den öffentlichen Verkehrsmitteln bemängeln, entgeht und uns da vielleicht etwas, wenn wir auf diesen Teil unseres Rituals blicken.

Denn zumindest unter den damaligen Umständen war es ein großes „Leid“ gewesen, hätte man auch nur eine solche Reise quer durch alle Himmelsrichtungen antreten müssen.

Also, meine Brüder,

sollten sie bei der nächsten Anreise zur Loge wieder im Stau stehen oder frierend am Bahnsteig, bedenken Sie bitte:

Alles halb so schlimm. Die Postkutsche ist auch keine wirklich gute Alternative.

(Bild: Pexels / Pixabay)


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